Als Träger von neun ev.- luth. Kindertagesstätten im Kirchenkreis Nienburg haben wir uns mit unseren Fachkräften entschieden, ein sexualpädagogisches Konzept zu entwickeln.
Mitarbeitende sind sich ihrer Vorbildfunktion sowie ihrer Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Kind bewusst.
Kinderschutz beginnt mit einer Kultur der Achtsamkeit und Wertschätzung und einer aufmerksamen Grundhaltung der Mitarbeitenden, um Kinder ganzheitlich in ihrer Entwicklung zu begleiten, damit diese sich zu selbstbewussten Menschen entfalten.
„Auch die Sexualität gehört von Beginn an zur Entwicklung jedes Kindes. Sexualität beginnt nicht erst >> später <<, also etwa in der Zeit der Pubertät, sondern gehört als menschliches Grundbedürfnis von Beginn an zur Entwicklung jedes Kindes. Sie ist kein Vorrecht von Jugendlichen und Erwachsenen, sondern durchzieht das gesamte Leben. Allerdings äußert sich Sexualität je nach Alter, Reife und Entwicklungsphasen in sehr unterschiedlichen Formen. Entscheidend kommt es darauf an, die kindliche Sexualität in ihrer Besonderheit und Eigenständigkeit zu erkennen und wertzuschätzen.“
(Jörg Maywald, Sexualpädagogik in der Kita)
Erstes Lebensjahr:
Säuglinge sind auf Körperkontakte angewiesen: Im Arm gehalten, gestillt, gestreichelt und liebkost zu werden bilden die Grundlagen für eine gesunde seelische Entwicklung. Kinder empfinden beim Kuscheln mit Bezugspersonen Wohlbefinden, Sicherheit und Urvertrauen. Sie bauen intensive Bindungen zu den Personen auf, mit denen sie viel Zeit verbringen und die ihnen diesen Körperkontakt gewähren. In den ersten Lebensmonaten ist der Mund von besonderer Bedeutung. Kinder saugen nicht nur um Nahrung aufzunehmen (orale Phase), sondern auch um sich ein Wohlgefühl zu verschaffen.
Zweites Lebensjahr:
Die Kleinkinder werden sich ihrer Unterschiedlichkeit bewusst (Entwicklung der Identität).
Zu Beginn des zweiten Lebensjahres entwickeln Kinder ein Bewusstsein für ihre Körperausscheidungen und die dazugehörigen Zonen. Dazu gehört, die eigenen Genitalien zu erkunden. In der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres entwickeln Kinder ein Bewusstsein für das eigene Geschlecht und ihre sexuelle Identität. (Entwicklung des Geschlechtsrollenverhaltens)
Drittes Lebensjahr:
In dieser Phase zeigt das Kind seinen eigenen Willen und übt seine Widerstandskraft. Für seine Persönlichkeitsentwicklung ist es wichtig zu erfahren, dass es selbst bestimmen darf, welche Berührungen es bekommen und geben möchte. Sie entwickeln ein Schamgefühl und entscheiden beispielsweise, wer sie wickeln und/oder zur Toilette begleiten darf. Kleinkinder lernen in diesem Alter, was erlaubt ist und was nicht und dass sie bestimmte Regeln einhalten müssen.
4. bis 6. Lebensjahr:
In diesem Alter wissen Kinder, dass sie Jungen oder Mädchen sind (Geschlechterstabilität und Geschlechterkonstanz). Die Kinder haben große Freude daran miteinander zu spielen. Sie erforschen spielerisch ihren eigenen Körper und den Körper von anderen, oftmals im Rollenspiel, (z. B. Doktorspiele) oder Rollenspiele, wie Vater - Mutter - Kind, sind sehr beliebt. Viele Kinder sind interessiert, woher sie kommen und stellen entsprechende Fragen. Sie entwickeln ein deutliches Schamgefühl und setzen verstärkt klare Grenzen. Einige Jungen und Mädchen entdecken und mögen es an ihren Genitalien zu reiben und diese zu stimulieren. Es gibt ihnen ein Wohlgefühl, verschafft Lust und Entspannung. Sie spüren, dass dieses bei anderen Menschen Peinlichkeit hervorruft und ahnen das Tabu. Sie leben enge Freundschaften mit Kindern beiderlei Geschlechts. Körperliche Nähe, Händchenhalten, Austausch von Zärtlichkeiten - all das genießen sie auch mit ihren Freunden. Sie lernen, dass bestimmte Wörter starke Reaktionen bei Erwachsenen auslösen. So testen sie gerne aus, wo die Grenzen liegen, was akzeptiert wird oder nicht.
Kinder im Grundschulalter:
Im Grundschulalter spielen Kinder verstärkt mit Kindern ihres eigenen Geschlechts. Sie grenzen sich voneinander ab. Kinder dieser Altersstufe zeigen sich nicht mehr gerne nackt. Sie wissen, dass über Sexualität nicht öffentlich gesprochen wird. Die Grundschulkinder beobachten Jugendliche und Erwachsene in ihrem Verhalten, stellen wenig Fragen zur Sexualität, das Interesse daran ist trotzdem vorhanden. Im ersten Lebensjahrzehnt haben manche Kinder das erste Gefühl von Verliebtsein.
So unterstützen wir Kinder in ihrer normalen psychosexuellen Entwicklung:
Geschlechtsidentität:
Bereits im zweiten Lebensjahr entwickeln Kinder ein Bewusstsein für das eigene Geschlecht. Geschlechtsbezogenes Verhalten ist sowohl biologisch als auch durch die Umwelt bestimmt. Es ist hilfreich, zwischen dem biologischen Geschlecht (eng. sex), sowie dem sozialen Geschlecht (eng. gender) zu unterscheiden.
Das soziale Geschlecht wird von der Umwelt beeinflusst. In unserer Gesellschaft gibt es unterschiedliche Rollenmodelle und Vorbilder. Ob Geschlechtsunterschiede in unseren Kitas eher betont oder heruntergespielt werden, hat Einfluss auf die Geschlechtsidentität. Mädchen und Jungen sind gleichwertig und gleichberechtigt, jedoch nicht vollständig gleich. Gemeinsamkeiten wie z.B. Intelligenz oder Begabung sind wichtiger als die biologischen Unterschiede zwischen ihnen. Die Reflexion von geschlechtsstereotypem Rollenverhalten, welches immer wieder ungewollt praktiziert wird, ist sehr wichtig, um Kinder gleichberechtigt zu begleiten.
So unterstützen wir Kinder in der Entwicklung ihrer Geschlechteridentität:
Wickeln:
Niemand darf ohne eindeutiges Einverständnis in den Intimbereich eines anderen Menschen eingreifen. Das Wickeln ist eine Nahsituation zwischen Kind und Fachkraft, die Vertrauen erfordert. Die Anforderung ist, Kindern gerade auch in Wickelsituationen Respekt entgegenzubringen.
So gestalten wir in der Kita die Wickelsituationen:
Doktorspiele:
„Doktorspiele“ sind Kinderspiele. Sie werden unter Kindern gleichen Alters oder gleichen Entwicklungsstandes mit maximal zwei Jahren Altersunterschied gespielt. Es sind gleichberechtigte und gegenseitige Spiele. Das heißt: Die Initiative geht dabei nicht nur von einem Kind aus und kein Kind ordnet sich einem anderen unter. „Doktorspiele“ finden eher unter Freundinnen und Freunden als unter Geschwistern statt.
Viele Mütter und Väter, aber auch Pädagoginnen und Pädagogen reagieren verunsichert auf „Doktorspiele“. Einigen ist die Beobachtung peinlich; sie sehen bewusst oder unbewusst weg. Andere haben Angst, auf Doktorspiele positiv zu reagieren: Sie sind in Sorge, Mädchen und Jungen würden bei positiven Reaktionen ein zu starkes Interesse an Sexualität entwickeln. Wiederum andere vernachlässigen aus einer falsch verstandenen „Offenheit“ die Vermittlung klarer Regeln für „Doktorspiele“. Kinder brauchen jedoch eindeutige Regeln, um im Doktorspiel ihre eigenen persönlichen Grenzen vertreten und die Grenzen der anderen Mädchen und Jungen wahrnehmen und achten zu können.
So regeln wir „Doktorspiele“ in der Kita:
Sauberkeitserziehung:
Als Sauberkeitserziehung bezeichnet man den Versuch, Kleinkinder dabei zu fördern, die Toilette für die Blasen- und Darmentleerung selbstbestimmt zu nutzen. Voraussetzung dafür ist, dass das Kleinkind die Schließmuskulatur der Harnblase und des Anus kontrollieren kann. Dieses ist ein individueller, nicht altersgebundener Reifungsprozess.
Es ist ein Unterschied Zuhause oder in der Kindertagesstätte „trocken“ zu sein. Das Zuhause bietet einen vertrauten Rahmen. Hier beginnt das Kind den Schritt in die Windelfreiheit zu wagen. Dieses heißt jedoch nicht, dass dieses auch zeitgleich in der Kindertagesstätte funktionieren muss.
So unterstützen wir die Sauberkeitserziehung in der Kita:
Selbstbefriedigung:
Die Stimulation der eigenen Geschlechtsteile (Selbstbefriedigung) ist auch bei Kindern etwas Normales. Das ist nicht schädlich oder krank, sondern Kinder entdecken dadurch ihren Körper, nehmen sich mit ihrem Körper wahr und lernen ihn zu akzeptieren.
So gehen wir mit der Selbstbefriedigung eines Kindes um:
Elternarbeit:
Bei der Zusammenarbeit mit den Eltern sind Transparenz und Offenheit in allen Bereichen der Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder sehr wichtig. Gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen bilden das Fundament unserer Arbeit. Die Begleitung der Kinder in ihrer Sexualentwicklung kann somit nur im Austausch mit den Eltern über unterschiedliche Werte, Erziehungsstile, Auffassungen, kulturelle, religiöse und familiäre Prägungen gelingen.
So gestalten wir die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern im Bereich Sexualpädagogik
Sexuelle Übergriffe:
Sexualisierte Gewalt: Definition: >>Sexueller Missbrauch von Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird, oder der das Kind aufgrund seiner körperlichen, seelischen, geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Die Missbraucher nutzen ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um ihre eigenen Bedürfnisse auf Kosten der Kinder zu befriedigen, die Kinder werden zu Sexualobjekten herabgewürdigt<< (Deegener 2010, S.22).
Diese sozialwissenschaftliche Definition bezieht sich auf alle Minderjährigen. Bei unter 14- jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Sie sind immer als sexuelle Gewalt zu werten, selbst wenn ein Kind damit einverstanden wäre (Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung).
>>Manchmal halten Kinder sich bei Körpererkundungsspielen nicht an die Regeln und es kommt zu Grenzverletzungen oder zu sexuellen Übergriffen. Dieses geschieht nicht immer mit Absicht, meistens werden diese Grenzverletzungen von den Kindern bemerkt und unterbrechen dann ihr Tun. Manchmal benötigen sie jedoch die Hilfe und Begleitung der pädagogischen Fachkraft. Passieren diese Grenzverletzungen jedoch mit Absicht oder wiederholen sich, muss von >>sexuellen Übergriffen<< gesprochen werden.
Sexuelle Übergriffe unter Kindern erfordern ein schnelles, angemessenes und fachlich kompetentes Eingreifen der Fachkräfte. Wegsehen, banalisieren oder eine falsch verstandene Lockerheit im Umgang mit Grenzverletzungen verunsichern und überfordern die Kinder, vernachlässigen ihre berechtigten Schutzbedürfnisse und können dazu führen, dass sich die Übergriffe wiederholen oder sogar verschlimmern. <<
(Jörg Maywald, Sexualpädagogik in der Kita, S. 101)
So schützen wir die Kinder vor sexualisierter Gewalt:
Literaturliste/ Quellen:
Jörg Maywald: Sexualpädagogik in der Kita, Kindeswohl in der Kita
Sexualpädagogisches Konzept: Bauernhof Kindergarten e.V.
Evangelische Kindertagesstätte Reese: Sexualpädagogisches Konzept